1. oder 2. Klasse?

Es geht mir weder um die Abschaffung der 1. Klasse, noch geht es darum meinen Ratskolleg_innen im National und Ständerat das Fahren in der 1. Klasse zu verbieten. Nein, es geht mir einzig darum, dass wir Parlamentarier_innen mit einem 2. Klass-GA als Reisepauschale zufrieden sein sollten.

Der Grund dafür ist ein einfacher. Während das 1. Klass-GA ein klarer Luxus ist, erfüllt ein GA 2. Klasse denselben Zweck und ist erst noch kostengünstiger. Und als Parlamentarierinnen, die immer wieder auch von unserer Bevölkerung verlangen einen Sparbeitrag zum Wohle aller zu leisten, ist es nicht mehr als anständig und recht, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sind die Vetreter_innen unserer Bevölkerung und sollten uns nicht auf deren Kosten Privilegien leisten, die wir uns auch selber bezahlen können, sie sich aber vielleicht nicht. Wer behauptet ein GA 1. Klasse sei kein Luxus, der hat wahrlich keine Ahnung wie Arbeitehmende landauf und landab leben und reisen.

Das Büro unseres Rates gibt in seiner ablehnenden Begründung zu meiner Motion folgende Stellungnahme ab: «Dass den Ratsmitgliedern ein GA erster Klasse vergütet wird, ist weder ein Luxus noch ein Privileg. Der Grund dafür ist vielmehr, dass viele Ratsmitglieder die Reisezeit dazu nutzen, im Zug zu arbeiten, was in der zweiten Klasse wegen der dichteren Belegung und dem höheren Lärmpegel schwieriger ist.»

Konzentration ist keine Frage des Komforts

Ich muss schon sehr bitten! Was glauben das Büro denn, was die Pendlerinnen und Pendler in der 2. Klasse morgens und abends tun? Die meisten Pendler_innen, die arbeitshalber pendeln, nutzen ihre Reisezeit dazu im Zug zu arbeiten und wie ich aus Erfahrung weiss, tun sie das – all den damit verbundenen Widrigkeiten zum Trotz – auch in der 2. Klasse. Student_innen lernen für Prüfungen, schreiben Vorträge und lesen Fachzeitschriften. Buchhalter_innen füllen Exeltabellen aus, Professor_innen bereiten Prüfungen vor, Lehrer_innen korrigieren Prüfungen, eine Vielzahl von Fachkräften und Unternehmer_innen bereiten Sitzungen- vor und nach, telefonieren mit ihren Kund_innen und Lieferant_innen. Ja selbst Arztsekretär_innen teilen den Patient_innen mit, dass bei der Darmspiegelung keine besonderen Resultate zu Tage befördert wurden. Und das alles ist möglich trotz dichterer Belegung und dem höheren Lärmpegel. Konzentration ist keine Frage des Komforts.

«Und auf jenen Strecken, wo es zeitweise weniger Sitzplätze als arbeitswillige Pendler_innen hat, ist es doch eine wertvollere Erfahrungen mit jenen mitzustehen, die man als Parlamentarierin vertritt, als in der 1. Klasse die Füsse von sich zu strecken.»

Warum aber alle Parlamentarier_innen verärgern nur weil Irène Kälin ein 2. Klass-GA will? Ich kann ja, wie richtig festgehalten wird, die Pauschale beziehen, ein 2. Klasse-GA kaufen, 2. Klasse fahren und habe erst noch Geld übrig, weil ein GA 2. Klasse selbst ohne Bundesvergünstigungen weniger kostet als die Pauschale für das nichtbezogene 1. Klass-GA. Ich zitiere nochmals unser Büro: «Es wäre aus Sicht des Büros aber nicht angebracht, alle Ratsmitglieder mit einem GA zweiter Klasse auszustatten, nur weil einzelne Ratsmitglieder kürzere oder weniger frequentierte bzw. ruhigere Bahnreisestrecken haben oder den Zug nicht als Arbeitsort nutzen.» Ich halte das auch nicht für angebracht nur wegen mir. Ich denke das wäre angebracht gegenüber all jenen Arbeitnehmenden – einer Mehrheit der Pendler_innen – die tagtäglich in den mehr oder weniger überfüllten 2. Klassabteils unserer Züge ihren Tag vor- oder nachbereiten. Dagegen sind selbst diejenigen unter uns, die 3 Kommissionen haben, wenig unterwegs. Und ja mir ist bewusst, dass es unter uns Parlamentarier_innen gibt, die einen sehr weiten Reiseweg nach Bundesbern haben, aber mit Verlaub, wer länger als 3 Stunden pro Weg unterwegs ist, der reist automatisch nicht nur zu Stosszeiten, wer aber täglich die Strecke Lausanne – Bern, Winterthur – Basel, St. Gallen – Zürich, Aarau – Brig oder Neuenburg – Nyon pendelt, der oder die sitzen und arbeiten morgens und abends, bis zu 5 Tage die Woche in Abteilen unserer Züge mit dichterer Belegung und höherem Lärmpegel. Ihnen gegenüber ist ein GA 1. Klasse eindeutig ein Luxus und ich sehe nicht ein, wieso diese Menschen mir das Arbeiten und Reisen in weniger lärmigen und weniger dichter belegten Abteilen einer besseren Klasse bezahlen sollten, wenn sie es sich selber nicht leisten können.

Ich freue mich auf ein Wiedersehen im klassenlosen Speisewagen. Zur Überraschung des Büros, das uns als arbeitssame Bienen beschreibt, ist mir dort doch schon die eine oder der andere Parlamentarier_in bei einem Bier und der damit verbundenen Schwerstarbeit zu Gesicht gekommen.

Irène Kälin